Birke, du schwankende, schlanke,
wiegend am blassgrünen Hag,
lieblicher Gottesgedanke
vom dritten Schöpfungstag

Gott stand und formte der Pflanzen
endlos wuchernd Geschlecht,
schuf die Eschen zu Lanzen,
Weiden zum Schildegeflecht.

Gott schuf die Nessel zum Leide,
Alraunenwurzeln zum Scherz,
Gott schuf die Rebe zur Freude,
Gott schuf die Distel zum Schmerz.

Mitten in Arbeit und Plage
hat er ganz leise gelacht,
als an den sechsten der Tage,
als er an Eva gedacht.

Sinnend in göttlichen Träumen
gab seine Schöpfergewalt
von den mannhaften Bäumen
einem die Mädchengestalt.

Göttliche Hände im Spiele
lockten ihr blonden das Haar,
daß ihre Haut ihm gefiele,
seiden und schimmernd sie war.

Biegt sie und schmiegt sie im Winde
fröhlich der Zweigelein Schwarm,
wiegt sie, als liegt ihr ein Kinde
frühlingsglückselig im Arm.

Birke, du mädchenhaft schlanke,
schwankend am grünenden Hag,
lieblicher Gottesgedanke
vom dritten Schöpfungstag!

Börries von Münchhausen

Wenn Schiller beklagt, dass mit den griechischen Göttern und der durch Göttliches beseelten Natur die ästhetische Welt verloren gegangen sei, so trifft das für dies Gedicht, das mit dem christlichen Gott so schalkhaft umgeht, nicht zu.
Beim Gedanken an Eva müsste Gott doch schon an Schlange und Erbsünde denken, wenn er ein Gott der Moralapostel wäre. Aber nein, er hat sein ästhetisches Wohlgefallen an der Birke schon in Vorfreude auf sein künftiges Geschöpf.
Auf diesen Gott will allerdings der Satz „Als Gott den Mann schuf, übte sie noch“ nicht recht passen. Laut Gedicht war er schon beim Erschaffen der Birke ein Könner.
Freilich, Allergiker werden es anders sehen. – Oder sollte Gott die Allergien und atomare Strahlung erschaffen haben, weil er versprochen hat, dass keine Sintflut mehr kommt??

Im Zuge der neueren Debatten zu #MeToo und political correctness, darf man freilich zweifeln, ob die Birke es zu schätzen weiß, dass sie speziell dazu geschaffen wird, einem männlichen Wesen zu gefallen.